Wo Grün hinläuft.

Fangen wir mal ganz vorne an, bei der Frage nämlich, was die GRÜNEN ausmacht.

Die Grünen, das sind die Partei, der es gelungen ist, eine ganze Reihe von Demokratisierungs und Emanzipationsbewegungen unter einem Schirm „für die Zukunft unserer Kinder“ zusammen zu fassen. Ihre Leistung ist es, aus einer verordneten Demokratie eine lebendige zu machen, mit allem, was dazu gehört. Ziviler Widerstand und damit die Wahrnehmung und Erweiterung der Grenzen, die ein demokratisches, das demokratische Gemeinwesen Deutschland ausmacht. Aber wohin treibt diese Partei? Ein paar Gedanken zu den innerparteilichen Auseinandersetzungen.

Die Erfahrung gescheiterter Revolutionsbemühungen (68) und die hartnäckige Naivität mancher Akteure (Petra Kelly), das ist der Stoff, aus dem die Erfolgsgeschichte wurde. Ach ja, dann waren, neben den vielen Aktiven noch die wenigen Lichtgestalten, die dem ganzen Schwung gegeben haben. Joschka Fischer, Machtmensch und Treiber der Partei zum Beispiel.

Der bisherige Weg der GRÜNEN war ein Weg des Aufnehmens und des Fallen lassens. Wir erinnern uns an den Kosovo Krieg, der aus der Pazifistenpartei GRÜNE eine Partei der wehrhaften Demokratie gemacht hat. Nicht opportunistisch, sondern aus Überzeugung. Derzeit wird, wenngleich noch nicht laut, darüber nachgedacht, nicht ob Kriege, die dann natürlich anders heißen, gerechtfertigt sind, sondern, ob sie überhaupt noch sinnvoll möglich sind. Die gescheiterte Mission in Afghanistan verweist darauf, dass Kriege nicht dazu beitragen können, fremde Ideen, und seien sie noch so Menschen- und frauenfreundlich, nicht einfach ein beliebiger Expertartikel sind. Das meine ich mit einer reflektierten Diskussion. Es ist eine Diskussion, die frühere Erfahrungen und Entscheidungen wahrnimmt, auf ihnen aufbaut.

Auf diesem grünen Weg durch deutsches Land haben die Grünen manches Thema ausgelotet und ausgeleuchtet. Vom Rande der Gesellschaft in diese hinein, von unten, der Kommunalpolitik, und außen, den außerparlamentarischen Bewegungen ins Zentrum der politischen Führung. Vom Kritisieren zum Konzeptionieren, jetzt zum Administrieren. Politische Macht zu haben, das bedeutet, gesellschaftliche Kraft mobilisieren zu können, Ideen zu entwickeln, und mit diesen Ideen auch immer weitere Teile der Gesellschaft anzusprechen.

Schon wahr, letztlich liegt diese grüne Kraft darin, dass das Ziel grüner Politik universell ist: Für die Auskunft unserer Kinder, wobei das die Zukunft des Planeten immer gleich mitdenkt. Und weil dieses Heilsversprechen nicht erfüllbar ist, bleibt es lebendig. Aber nur, wenn sich die Akteure von der Vorstellung lösen, das alles wäre ganz einfach und heute und mit politischen Mitteln alleine zu machen. Nein, wie nach Fukushima benötigt man dazu gesellschaftliche Ereignisse, die diese Politik nach vorne katapultieren.

Dieses Spannungsfeld auszuhalten, zeichnet Grüne aus, die Kraft, Heftigkeit der politischen
Auseinandersetzung sind für viele Beobachter Ausdruck der Ernsthaftigkeit, mit denen GRÜNE um den richtigen Weg ringen.

Der grüne Weg in die Gesellschaft ist also ein Weg der dialektischen Aneignung. Gesellschaftliche Erfahrung machen und diese stellvertretend für einen wesentlichen Teil wahrzunehmen, sichtbar zu machen und neu zu bewerten, diese Wachheit, das ist ein wesentliches Element der Wertschätzung wichtiger Teile dieser Gesellschaft für die GRÜNEN. Meine eigene Erfahrung: Viele Menschen aus dem mittleren und oberen Management schätzen bei den GRÜNEN vor allem eines: Ihre Wachheit und Neugier. Sie erleben grüne Politiker, die kompetent sind, die sich Fragen stellen trauen, die neugierig auf neue Erfahrungen sind, die sich gerne austauschen, die auch andere und unterschiedliche Meinungen goutieren, die nicht immer glauben, dass sie selber recht haben, die den Eindruck machen, dass sie selber ihre Meinung revidieren, wenn sie die Gegenargumente überzeugen. Das ist wahrgenommene grüne Identität. Diese Art reflexiven Weltverständnisses, das unterscheidet GRÜNE von anderen Politikern, die immer noch versuchen, ihre eigenen Überzeugungen als die einzig wahre Weltsicht zu verkaufen.

Das spiegelt den einen anderen Teil der grünen Wirklichkeit wider. Der andere ist die innergrüne Debatte. Und in der steht derzeit eine realpolitische Denkfaulheit einem linksinstrumentalistischen Weltbild gegenüber.

In einer Welt, die sich in einem rasenden Tempo immer neu erfindet, ist eine Partei zeitgemäß, wenn auch sie Positionen regelmäßig überprüfen kann, bereit ist, Erfahrungen zu machen, auch Fehler mit den Erfahrungen zu machen und aus diesen Erfahrungen zu lernen.

Die Konsequenz ist: Das Ziel „Für die Zukunft unserer Kinder“ im Auge behalten, den Anspruchsball flach halten, die Aufmerksamkeit nach außen richten, die aufkommenden Fragen aufnehmen, lernen, das komplexe Spiel zwischen politisch administrativem Handeln und Meinungsbildung, Issue Management beherrschen lernen und Ergebnisse produzieren (und, siehe EEG, immer wieder zu überprüfen).

Und auf diesem ganzen Weg bildet sich eine gesellschaftliche Identität heraus, ein neues Zivilgesellschaftliches Selbstverständnis, indem Unternehmen nicht nur Selbstregulierung für sich reklamieren, um danach nichts zu tun, sondern in dem Rahmensetzung und Selbstverpflichtung miteinander verzahnt sind. Zuckerbrot und Peitsche. Jürgen Trittins Umgang mit der Recyclingquote war ein paradigmatisches Beispiel: Und bist Du nicht willig, so Brauch ich Gesetz! Das schafft Respekt.

Meine These: Die GRÜNEN, wenn sie sich ihre Identität inmitten der Gesellschaft (und nicht immer nur auf der Seite der Entrechteten) sehen, sind lebendiger Bestandteil eines neu entstehenden, wie auch immer zu nennenden, postmaterialistischen Milieus. Bildungsgetragen, vom Wunsch nach „herrschaftsfreien Dialog“ geprägt, aber doch nicht so naiv, dass sie nicht wüssten, dass handfeste Konflikte zum politischen Alltag einer pluralistischen Gesellschaft gehören.

Sie sind, das meine ich mit Respekt, die einzige Partei mit einer echten und zunehmenden Bindungswirkung in die Gesellschaft hinein, während die anderen, die Volksparteien, ihre zerfallenden Milieus verwalten und in mehr oder weniger gelungenen Rettungsaktionen mit neuen Milieus zusammenbinden wollen.

Sie sind eine bürgerliche Partei, aber eine mit reflexiv marxistischem Bewußtsein. Sie wissen, dass der demokratische Diskurs nur dann stattfinden kann, wenn er materielle Lebenschancen für die Mitglieder der Gesellschaft bereit stellt. Deshalb die Diskussion um Grundeinkommen, die Suche nach neuen Lösungen bleibt, auch wenn die Ideen dann wegen möglichen Mißbrauchs oder Nichtumsetzbarkeit wieder verworfen werden. Möglicherweise sind programmatische Konzepte heutzutage Handlungsoptionen, die auf ihren Zeitpunkt warten. Die deutsch deutsche Vereinigung lehrt uns, dass man auch Xairos, den rechten Augenblick benötigt, um eine Programmatik umzusetzen.

Diesen Zwiespalt zwischen Ideen einer guten Gesellschaft und einem guten Leben und der zu managenden Realität auszuhalten, das macht GRÜNE Identität aus, das ist Reflexivität. Auch wenn die Akteure selbst das noch nicht ganz begriffen haben.

Und wie geht es weiter?

Jetzt, einige Wochen vor dem nächsten Bundesparteitag, kurz vor Ende der Urabstimmung über die Spitzenkandidaten, nimmt der innerparteiliche Auseinandersetzungsdruck zu. Denn der politische Trend zeigt nach links, das Gefühl, dem zynisch unverschämte Treiben der Finanzmärkte Grenzen setzen zu wollen, lässt den Kamm schwellen. Der Reiz, zurück zu schlagen, politische Stärke zu zeigen, lässt linksinstrumentelle Lust aufkommen. Und die Frage überdecken, welchen Anteil wachstums- und wohlstandsorientierte Politik an dieser Melange hat.

Wie kann sich Realpolitik dieser Debatte stellen? Was könnte eine grüngemäße Antwort auf die neue Situation sein?

Eine neue Ethik des Gemeinwohls, eine intellektuelle Leitwährung, die Orientierung für das Handeln im Ungewissen herstellt. Denn das Bündnis mit Occupy und Transparency alleine wird es nicht bringen, die Zeit außerparlamentarischer Unschuld ist vorbei, jetzt gilt es, Haltung zu zeigen, indem man die Dinge so beschreibt, wie sie sind. Und trotzdem abgewogene Politik macht. Paradigmatisch der Umgang Winfried Kretschmanns. Sein
Satz, Weniger Autos ist besser, ist unverstellt die grüne Bewertung der Wirklichkeit. Das Eingeständnis, er ist der Ministerpräsident, nicht der Markt, macht klar, dass Handeln in diesem Spannungsfeld ein Abwägungsprozess ist. Und dass der Ministerpräsident sich nicht scheut, diesen Abwägungsprozess auch zu machen und sichtbar zu machen. Reflexive grüne Politik.

Was dieses reflexive Selbstbewusstsein in den kommenden Auseinandersetzungen bringen könnte? Ich weiß es nicht. Aber ein sogenannter Parteiflügel, der aus seinem So Sein keine Stärke mehr bezieht, der sich nicht als Treiber, sondern als Getriebener versteht, hat schon verloren.

Aber welche der SpitzenkandidatInnnen macht diese Vision, dieses Selbstverständnis klar? Und welcher Antrag atmet diesen Geist?

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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