Worum es in der politischen Debatte geht. Wenn es ernst wird, z.B. beim Flüchtlingsthema.
2. September 2015 von Nikolaus
In unseren Politiklehrbüchern lesen wir immer wieder, in der politischen Debatte ginge es um einen Austausch der Argumente, das bessere Argument, mit dem man dem politischen Gegner Stimmen abnehmen kann.
Vordergründig stimmt das. Tatsächlich, und das spürt man immer dann, wenn es ernst wird, stimmt das nicht. Dann geht es nämlich vorrangig um die Frage, welche Fragen man stellen darf und welche man leugnen muss. Ob man mit seinen Argumenten also „eher drin“ oder „eher draußen“ ist. Meinungsbildung ist ein sozialer Prozess. Fakten, Fakten, Fakten, der FOCUS-Startclaim, war ein Bluff, Es geht darum, dabei zu sein. Beim FOCUS war das die selbstgeschaffene Info-Elite, bei der Flüchtlingtdebatte geht es um Zustimmung. Und um Abgrenzung. Und darum, was uns unsere Werte, Freiheit, Fairness und Solidarität, z.B.
Dabei kann sich „Drinnen“ und „Draußen“ in unterschiedlichen Blickwinkeln verschieden darstellen. Und, das können wir derzeit beobachten, drinnen und draußen kann auch zu unterschiedlichen Zeiten Unterschiedliches bedeuten. Wer drin ist, muss es nicht bleiben. Er kann auch schnell wieder draußen sein.
Wir blicken uns um:
Drinnen sind sich alle Politiker einig. Und draußen schütteln alle den Kopf.
Drinnen wissen alle eine Lösung. Zack, zack. Und draußen runzeln die Bürgerinnen und Bürger die Stirn. Der Begriff REFORM zum Beispiel, wrid drinnen benutzt. Und draußen befürchtet.
Die Flüchtlingsfrage stellt Europa vor ganz neue Herausforderungen. Angesichts brennender Flüchtlingsunterkünfte, ratloser Kommunen und einer Bevölkerung, die selbst die eine ODER die andere Haltung einnimmt, ist das kein Wunder. Die einen ballen die Faust. Die anderen, das sind viel mehr, helfen.
Der Konsens droht zu zu zerbrechen. Was ist künftig „drinnen“ und was „draußen“.
Wolfang Weimar hat im Handelsblatt vom 31.8.2015 das Problem, oder besser, die Fragen, richtig formuliert und man kann den Subtext der Fragen auf folgende Aspekte komprimieren:
Wir haben jede Menge Fragen.
Wir sehen, dass diese Fragen politisch nicht, oder zu kurz, aufgegriffen werden.
Wir ahnen, dass es keine schlüssige und „moralisch saubere“ Lösung gibt.
Weil wir einerseits wahrnehmen, dass die jetzt beginnenden Fluchtbewegungen durchaus dauerhaft anhalten können.
Weil wir verstehen, wenn Familien aus Furcht vor köpfeabschlagenden islamistisch verkleideten Horden zu Recht flüchten.
Weil wir das ebenso machen würden.
Weil wir ebenso Schlepper, und seien sie noch so kriminell, in Anspruch nehmen würden.
Weil wir wissen, dass Grundversorgung auf deutschem Niveau für viele Menschen das Paradies bedeuten.
Weil es uns schwer fällt, zu begünden, warum es uns gut gehen soll, den flüchtenden aber nicht.
Auf der anderen Seite:
Unsere Lebensverhältnisse wollen wir auch nicht komplett umkrempeln.
Zu viel Fremdes ist uns dann auch zu viel Fremdes.
Und so müssen wir einen Blick auf dei unsichere Basis werfen, auf dem unser Reichtum aufbaut.
Wenn es uns gut geht.
Für die, denen es jetzt schon nicht gut geht, definiert sich das Problem noch mal anders. Sie befürchten, wenn künftig auch Geld für Flüchtlinge notwendig ist, weniger für sie bleibt.
Und jetzt beginnt der Prozess der sozialen Bewertung von Sachverhalten. Was neu ist (behaupte ich), ist, dass es keine schlüssige, aufgehende und gegenüber allen Interessen gleichermaßen rücksichtsvolle Position gibt.
Es geht also darum, was man argumentativ unterdrücken oder ausgrenzen kann.
Die Sorgen derer, die sich für zu kurz gekommen fühlen.
Die Wut derer, die angesichts der glatten politischen Formulierungen ohmächtige Wut befällt.
Die Angst derer, die über das Mittelmeer und anderswoher zu uns fliehen.
Klar dürfte sein, dass die Politiker aller etablierten Parteien gegenüber den Zündlern, die auf mit ihren Parolen das Feuer der Empörung weiter entfachen wollen, kein Verständnis äußern.
Oder nur ein wenig, weil sie vermuten, dass dadurch dem rechtsradikalen Gedankengut das Wasser abgegraben wird. Weil sie sich dadurch versuchen, den sozialen Geltungsanspruch dessen, was sie sagen, auszuloten und auszuweiten.
Wir erkennen, Argumente sind gar keine Argumente, sondern soziale Akte. Politik und Medien loten aus, was gesagt werden darf (und gedacht) und was nicht. Es geht um argumentative Inseln. Um Führung und Gefolgschaft.
Für das Thema Flucht bedeutet das, dass Werte auf den Prüfstand kommen. Bieten wir Flüchtenden Schutz, wenn sie vor Terror und Gewalt fliehen. Nach welchen Kriterien? Können wir dafür Zustimmung (und Aktivitäten) mobilisieren, um unsere Werte vor uns und der Welt zu verteidigen (und sie im Alltag Wirklichkeit werden zu lassen).
Den grünen Tisch, an dem wir diese Fragen, oft akademisch, debattieren, können wir beseite räumen. Jetzt geht es darum, „draußen“ zu zeigen, das unsere Werte und Überzeugungen halten.
Und so sehen wir: Draußen ist das neue drinnen. Und vor dem Konsens der Politiker gilt es auszuloten, wer wieviele seiner Anhänger und Zuhörer für welche Haltung mobilisieren kann.