Nicht political correct, ein bißchen leichtfertig mit den Populisten, aber tut es nicht einfach mal gut, darüber zu lachen?
Damit Gabor Steingarts Attacken auf’s politische Establishment nicht ungelesen auf der letzten Seite des Handelsblatts verdörren, plündere ich dieses mal ohne Rücksicht auf Copyright.
Wohl bekomm’s!
Wirklichkeit von unten
Di|gi|ta|li|sie|rung: [die] technologischer Urprozess; verändert die Art, wie wir kommunizieren. Siehe auch: Demokratie 4.0
Die Digitalisierung ist der technologische Urprozess unserer Zeit. Mit Hilfe von Mikroprozessoren und Speichermedien werden Informationen gesammelt, gespeichert, verarbeitet. So verändert sich die Art, wie wir arbeiten, einkaufen und leben. Aber so verändert sich auch der Prozess, in dem politische Macht entsteht. Die neuen digitalen Medien spielen dabei die Rolle der Zulieferindustrie. In ihren Netzen werden Stimmungen zu Überzeugungen verdichtet, Meinungen zu Mehrheiten montiert, und das Vorurteil verfestigt sich zuweilen durch die Wiederholung des bereits Wiederholten zur Gewissheit.
Es kommt zu einer Veränderung der bisherigen Lieferkette, das heißt konkret: zum Herauslösen von Meinungsmacht aus den Händen der etablierten Sender, Verlage und der ihnen zugetanen politischen Parteien. Die Eliten und ihre Medien verschwinden nicht, aber was verschwindet, ist ihr Monopol aufs Informieren, Analysieren und Emotionalisieren. Sie begleiten nun einen Prozess, den sie früher gesteuert haben.
Ununterbrochene Kommunikation
Medienmacht verteilt sich heute auf unzählige Produzenten, die ihrerseits tief mit der privaten Kommunikation des Einzelnen via Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und WhatsApp vernetzt sind. Das Wort von den „tonangebenden Schichten“ macht keinen Sinn mehr, weil es nicht mehr den einen Ton gibt, stattdessen viele Geräusche.
Medienmacht verteilt sich heute auf unzählige Produzenten, die ihrerseits tief mit der privaten Kommunikation des Einzelnen via Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und WhatsApp vernetzt sind.
Nicht nur das etablierte Meinungsoligopol ist aufgehoben, sondern die Trennung zwischen Sender und Empfänger gleich mit. Das Wesen der digitalen Gesellschaft ist ja gerade ihre ununterbrochene Kommunikation. Diese neue Kommunikation ist weder staatstragend noch fair oder gar objektiv, sie ist deutlich, aber nicht notgedrungen höflich, sie schätzt Fakten, aber sie hat keine Angst davor, auch Gefühle und Gerüchte zu verbreiten. Kurz gesagt, die neuen Medien kommunizieren wie echte Menschen, können lebhaft, einfühlsam, anrührend und in der nächsten Sekunde auch schonungslos und roh sein. Der neue Standard ist, dass es keinen Standard gibt: Demokratie 4.0.
Der Aufstieg des politischen Anti-Establishments in den USA, in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und überall sonst in Europa ist aufs Engste mit den antiautoritären Möglichkeiten der Digitaltechnik verbunden. Der Populist ist die Sturzgeburt der digitalen Zeit, dem Schoss des kommunikativ in die Selbstständigkeit entlassenen Volkes entstiegen. Denn erst das staats- und wirtschaftsferne Ökosystem der sozialen Netze ermöglicht es ihm, in unverstellter Sprache und an den regierenden Eliten vorbei mit den Wählern zu sprechen. Umgekehrt besitzt der Wähler seinerseits erstmals einen Rückkanal in die politische Sphäre, der es ihm ermöglicht, seine Sehnsüchte, Ängste und Forderungen unmittelbar zu adressieren.
Politik wird im Digitalzeitalter transformiert
Das Zwiegespräch der Eliten ist damit unterbrochen, vielleicht sogar beendet. Wirklichkeit ist dank digitaler Technologie erstmals Wirklichkeit von unten. Es wirkt, als habe die Welt ein großes Freihandelsabkommen mit sich selbst geschlossen, nur das diesmal nicht Waren und Dienstleistungen, sondern Worte und Gedanken über den Globus ziehen. Und das Ziel ist nicht der Supermarkt um die Ecke, sondern die nächstgelegene Regierungszentrale. Dort streben die medialen Vorprodukte der politischen Endfertigung zu.
Eliten erleben im Grunde das, was viele Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung auch erleben: die Neudefinition ihres bisherigen Lebens, die Entwertung ihrer gesellschaftlichen Stellung, die Entweihung ihrer Privilegien, die aufkeimende Unsicherheit darüber, was vom Gewohnten noch bleibt.
Es hat lange keine vergleichbare politische Bewegung gegeben. Die aus Wut Widerständigen wollen eine Alternative, auch wenn sie die noch nicht kennen. Sie sehnen sich nach einem Politiker, dem sie noch nie begegnet sind. Sie sind bereit, für dieses Blind Date hohe Risiken einzugehen. Die Idee vom disruptiven Denken, zu der die Wirtschaftselite uns auffordert, wird hier beherzt aufgegriffen. Niemand denkt derzeit so disruptiv wie das Volk.
Die Stallwachen des Parteienstaates wehren sich gegen diese Zumutung vor allem mit dem Versuch der Abgrenzung. Wir sollten mit den strauchelnden Eliten nachsichtig sein. Denn sie erleben im Grunde das, was viele Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung auch erleben: die Neudefinition ihres bisherigen Lebens, die Entwertung ihrer gesellschaftlichen Stellung, die Entweihung ihrer Privilegien, die aufkeimende Unsicherheit darüber, was vom Gewohnten noch bleibt. Nicht nur Geschäftsmodelle, auch die Politik wird im Digitalzeitalter transformiert. Der Parteipolitiker tradierten Typs ahnt schon, dass er vergleichbar dem britischen Königshaus sein Volk künftig nicht mehr dominieren, nur noch repräsentieren darf.
Seine Zukunft darf er sich so vorstellen wie die Gegenwart von Prinz Charles.
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