Zum Tode vom Ulrich Beck

Wir trauern um Ulrich Beck, den zweiten grossen Intellektuellen innerhalb kurzer Zeit, auf den wir künftig verzichten müssen. Erst der ungestüme Schirrmacher, jetzt der neugierig reflektierte Ulrich Beck. Deutschland ist um zwei große Intellektuelle ärmer.

Intellektuell deswegen (und im Falle von Ulrich Beck nicht Wissenschaftler), weil er nie der Versuchung erlegen ist, die Theorie für bedeutsamer als die Wirklichkeit zu betrachten. Der Soziologe Ulrich Beck hat seinem Gegenstand, das soziale Miteinander der Menschen, abstrakter die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, nie als abgeschlossen betrachtet.

Was bleibt? Dank und Gedenken an ihn als einen großen Beobachter der Wirklichkeit. Und als Begriffsingenieur. Unser Beileid gilt seiner Frau, Elisabeth Beck-Gernsheim, die mit ihm die Sozologie zu einem Werkzeug geformt hat, mit der man die Gesellschaft nicht nur betrachten, sondern in ihr auch agieren kann.

Patchworkfamilie. Risikogesellschaft, Weltrisikogesellschaft, Weltinnenpolitik. Und Reflexive Modernisierung. Schon die Perlenschnur dieser Begriffe zeigt, wie der das Sozialingenieurspaar Beck und Beck-Gernsheim vorgegangen sind. Indem sie Begriffe neu konzipiert haben, wenn alte nicht mehr passten, zum Beispiel im Falle der Patchworkfamilie, haben sie der Aufgeregtheit der „alten Familiensoziologen“ ein begriffliches Statement entgegen gesetzt, das es möglich gemacht hat, neue anormalität zu beschreiben anstatt mit den Brillen des Vorherigen Zeter und Morio zu rufen.

Derselbe Kunstgriff ist Ulrich Beck mit seiner Risikogesellschaft gelungen.

Die praktische Anwendung seines Werkzeugkastens durfte Ulrich Beck allerdingsnicht mehr erleben. Im Wettbewerb zwischen SPD, bei Kanzler Schröder war er zu Anfang wohlgelittener Gast im Kanzleramt, dem Macher war der Perspektivische Diskurs aber dann zu lästig, und den Grünen, bei denen ihn nach zarten Versuchen ein ähnliches Schicksal ereilte, haben beide Parteien ausgeblendet, was das Standardwerkzeug der Politik sein könnte: Interpretationshoheit. Nur die Landtagsfraktion der baden-württembergischen Grünen hatte das Schlagwort „Reflexive Modernisierung“ lange Zeit am Fenster ihres Fraktionssaals prangen; und in der Wissenschaftsminsterin Theresia Bauer eine ebenso geräuschlos wie zeitnah aktuelle Verfechterin seiner Ideen.

Überhaupt könnte das Handeln der baden-württembergischen Landesregierung, der reflexive Pragmatismus eines Winfried Kretschmann, der ganz praktisch Poliitk von ihrem Ende her denkt und Handeln als eine Inkarnation Beck’schen Denkens betrachtet werden.

Er wird uns fehlen in einer Zeit, in der Sozialwissenschaftler nicht Antworten auf dieFragen unserer Zeit suchen, sondern Punkte in den Rankings spezialwissenschaftlicher Zeitschriften sammelt. Er wird uns fehlen in einer Zeit rasender Veränderungen, in der es ihm gelungen ist, veränderte Wirklichkeiten auch mit veränderten Begrifflichkeiten zu beschreiben. Nicht um ihrer selbet willen, sondern um Wirklichkeit verändern zu können.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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